Materielle Aspekte (Auszug aus dem Rekurs)

Lesen Sie hier die Rekursreplik vom 22. April 2014 >>




Fehlende Einpassung (§ 238 PBG)

Bild rechts: Bildmontage Alt-Neu von Prof. Jürg Sulzer. Heute mit Durchblick – morgen eine Wand? In Wirklichkeit wird die Kantonsschule vom Kunsthaus aus nicht mehr zu sehen sein.

Detailliert gerügt werden im Folgenden die frappanten Gesetzesverletzungen und willkürlichen sachlichen Ermessensüberschreitungen, die besonders hinsichtlich bestehender städtebaulicher und historischer Zusammenhänge um den Heimplatz als wichtigste Platzanlage des 19. Jh. am rechtsufrigen Altstadtrand im Stadtbefestigungsbereich des 17. Jh. aus Umgebungsschutz- und Einordnungsgründen unzulässig und widerrechtlich sind. Im Pfauengebiet, um den Heimplatz und im ehemaligen erkennbaren Schanzengebiet sind die bestehenden Begebenheiten nach § 238 PBG und nach dem kommunalen Gestaltungsplan besonders voll und ganz unter Freihaltung der offenen Platzanlage zu berücksichtigen.

§ 238 PBG lautet: „Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird (…). Auf Objekte des Natur- und Heimatschutzes ist besondere Rücksicht zu nehmen; sie dürfen auch (….).“

Das nicht gegliederte Volumen des Erweiterungsbaus ist nicht geeignet, diese Bedingungen zu erfüllen. Dessen Dimensionen sprengen den Massstab des seit 1840 mit grosser Sorgfalt in Stufen bebauten Schanzengebiets von Zürich. Der 21 Meter hohe Kubus verletzt sowohl mit seiner Höhe als auch mit den Grundrissdimensionen die im Pfauengebiet vorherrschende Korngrösse. Der Gebietscharakter mit offener Bebauung, freiem Fluss des Raums und Durchgrünung ist verletzt. Der heitere luftige Charakter, der das Pfauengebiet ausmacht, wird zerstört: Das Volumen des Erweiterungsbaus ist so gross, dass es die ortstypischen Sichtbeziehungen unterbricht. Z.B. ist die alte Kantonsschule nicht mehr wahrnehmbar, der Sichtbezug zwischen Gymnasium Hohe Promenade und ihr unterbrochen. Der Erweiterungsbau erfüllt die Anforderung der befriedigenden Gesamtwirkung nicht.


Verstoss gegen Baumschutz (§ 238 Abs. 3 PGB)

§ 238 Abs. 3 lautet: „Wo die Verhältnisse es zulassen, kann mit der baurechtlichen Bewilligung verlangt werden, dass vorhandene Bäume bestehen bleiben (…).“

Das Bauprojekt nimmt zu wenig Rücksicht auf bestehende Bäume, wie z.B. die markante Linde am Heimplatz.

Siehe hierzu auch: Gutachten von Matthias Brunner über Gesundheitszustand der Linde beim Kunsthaus vom 31. Mai 2013, inkl. Planskizze

Auf dem Areal existieren zahlreiche weitere, stattliche und alte Bäume, vor allem nördlich der westlichen Turnhalle (Platanen, Ulmen, etc.), die wegen dem Bauprojekt gefällt werden müssten.


Verstoss gegen Selbstbindung (§ 204 PBG)

§ 204 PBG lautet: „Staat, Gemeinden sowie Körperschaften (….). haben in ihrer Tätigkeit dafür zu sorgen, dass Schutzobjekte geschont und wo das öffentliche Interesse an diesen überwiegt, ungeschmälert erhalten bleiben“.

Das bedeutet auch, dass die Qualität der Umgebung gebührend zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall wird z.B. das Wolfbachschulhaus durch den undifferenzierten Klotz des Erweiterungsbaus völlig erdrückt. Die Sicht vom Pfauen auf die alte Kantonsschule, die prominente Verkörperung der für Zürich wichtigen Epoche des demokratischen Aufbruchs würde verdeckt. An dem für die neuere Zürcher Geschichte Zürichs wichtigen Heimplatz ginge ihre Präsenz verloren. Damit ist öffentliches Interesse verletzt.


Verstoss gegen kommunalen Gestaltungsplan (GP)

Verstoss gegen Art. 10 (Gestaltung)

Nach Art. 1 (Zweck) soll der GP für den Erweiterungsbau des Kunsthauses die „Sicherstellung eines städtebaulich und architektonisch wertvollen Neubaus mitsamt einem öffentlichen Freiraum“ ermöglichen. „Dies unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen an die Einordnung in das Ortsbild der Kernzone Hirschengraben“

Das barocke Vorstadtgebiet des Hirschgrabens, durch Landsitze und im 19. Jahrhundert sorgfältig gesetzten öffentlichen Bauten locker bebaut, erträgt zwischen dem Moserbau des Kunsthauses und der alten Kantonsschule kein grosses Bauvolumen. Der Erweiterungsbau von Chipperfield sprengt wie oben bereits gesagt nicht nur den Massstab, er entbehrt auch jeglicher Gliederung, die für eine Einordnung im historischen Kontext zwingend ist. Die oben genannten Worte aus dem Text des GP verlangen eine Gestaltung. Das mit dem Projekt vorliegende, lediglich „Füllen“ des abstrakten Kubus ist im Sinn des Textes keine Gestaltung. Es ist von autistischer Architektur zu sprechen, denn die Gebäudehülle ist vorwiegend geschlossen und weist auf jeder seiner Seiten dieselbe Palisade aus Sandstein auf. Alle bisherigen Gebäude der Kernzone Hirschengraben sind „zugewendet“: Vorder- und Rückseite, Schaufassaden mit Bezug zum Vorgelände (Gesicht des Gebäudes) etc. Der Erweiterungsbau wendet dem Heimplatz dieselbe Fassade zu, die sich auch auf den neu entstehenden Restraum auf der Rückseite und die beiden Strassenfassaden richtet. Eine solche undifferenzierte Gestaltung eignet Gewerbehäusern in Industriezonen, von denen keine Rücksicht auf ihre Umgebung erwartet wird. Der undifferenzierte Klotz des Erweiterungsbaus würde einen in mehrerlei Hinsicht unerträglichen Eingriff und schliesslich die Entwertung des öffentlichen Raums am „Pfauen“ bedeuten.

Die Anforderungen an einen städtebaulich und architektonisch wertvollen Neubau sind damit in keiner Weise erfüllt. Die Bausektion scheint sich mit der „besonderen Berücksichtigung der Anforderungen an die Einordnung in das Ortsbild der Kernzone Hirschengraben“ gar nicht erst auseinandergesetzt zu haben. Ein einziger Satz handelt dieses Thema ab: „Der kompakte Baukörper nimmt mit seiner stattlichen Grösse Bezug auf die öffentlichen Bauten der Nachbarschaft, fügt sich gut in den städtebaulichen Kontext ein und schafft gleichzeitig neue öffentliche Aussenräume“. Dies ist weder eine Beurteilung noch eine Auseinandersetzung, sondern lediglich die Abschrift des Textes im Gestaltungsplan. Die behauptete Einordnung bleibt unbewiesen. Die Bausektion verkennt, dass mit dem Neubau keine neuen Aussenräume geschaffen werden. Im Gegenteil: die früher vorhanden gewesenen Aussenräume wie der Raum zwischen den bestehenden Turnhallen wurde durch provisorische Schulbaracken und -Container der verschiedenen Schulinstitute jahrzehntelang der Öffentlichkeit entzogen. Mit dem Wegzug der PHZ und dem Abbruch der zahlreichen Provisorien können diese wundervollen Räume als Grünräume der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung gestellt werden.

Art. 10 präzisiert die Gestaltung nochmals wie folgt: „Bauten, Anlagen und Aussenräume sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen, stadträumlichen und landschaftlichen Umgebung im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine besonders gute städtebauliche Gesamtwirkung erreicht wird. Dies gilt für das Zusammenwirken mit den schützenswerten nachbarschaftlichen Gebäuden und deren Umschwung sowie in Bezug auf Materialien, Farben, Beleuchtung und Dachlandschaft.“

Praktisch alle umgebenden Gebäude, sowohl um das ursprüngliche Kantonsschulareal, als auch am Heimplatz sind Schutz- oder Inventarobjekte. Rücksichtnahme ist deshalb Gebot. Der Erweiterungsbau jedoch berücksichtigt in keiner Weise die Schaufassade des 1867 erbauten Schulhauses Wolfbach, die ihren Vorraum als am Rand stehendes Gebäude im grossen Turnplatz der Kantonsschule fand. Noch bedeutender: Die geschlossene Rückwand des Erweiterungsbaus entwürdigt die hoch liegende Kantonsschule mit ihrer Freitreppe – der grössten ihrer Art in Zürich. Der übergrosse Kubus des Erweiterungsbaus zerstört das seit der Entstehung des für Zürich bedeutenden Heimplatzes und des Moserbaus des Kunsthauses aufgespannte Spannungsfeld. Es zerfällt in zwei Teile: vorne das eingekesselte Verkehrsgeschehen, hinten der Restraum vor der alten Kantonsschule. Die besonders gute städtebauliche Wirkung ist deshalb nicht gegeben.


Verstoss gegen Art 11 (Aussenraum)

Art 11 besagt: „(….) Dieser (Freiraum) hat für sich und im Zusammenhang mit der Umgebung eine hohe Aufenthalts und Gestaltungsqualität aufzuweisen“.

Der verbleibende Aussenraum, der Restraum zwischen dem Erweiterungsbau und der Freitreppe kann dem Anspruch einer hohen Aufenthalts- und Gestaltungsqualität nicht genügen. Wenn die Grösse des Klotzes betrachtet wird, der im südwestlichen Teil des Areals zu stehen käme, würde Schatten auf den verbleibenden Raum werfen. Gleichzeitig mit der Zerstörung des Vorgeländes der alten Kantonsschule entstünde eine ausgesprochene Hinterhof-Athmosphäre , ein urbaner Restraum ohne Charme und Qualität.


ISOS fehlt für Zürich

Für beinahe alle Ortschaften in der Schweiz existiert das Inventar der Schutzobjekte von schweizerischer Bedeutung. Ausgerechnet für die grösste Stadt der Schweiz fehlt dieses Inventar.

Aus einer Antwort vom 27. Februar 2013 auf eine Anfrage an das eidgenössische Departement des Innern EDI, Bundesamt für Kultur BAK kann u.a. entnommen werden:

„Das ISOS hat unterschiedliche Rechtswirkung, je nachdem ob eine Bundesaufgabe betroffen ist (dort ist die Wirkung stark) oder ob eine kantonale/kommunale Aufgabe betroffen ist (dort ist sie schwächer). Das ISOS sollte in der kantonalen und kommunalen Richtund Nutzungsplanung berücksichtigt werden, die die Grundlage für die Erteilung einer Baubewilligung geben. Baugenehmigungen sind in der Regel kommunale Aufgaben; wir vom Bund können hier direkt keinen Einfluss nehmen. Konkret im Fall von Zürich ist zudem zu beachten, dass es sich eben erst um provisorische Aufnahmen handelt, die noch nicht in Richt- und Nutzungsplanung einfliessen konnten. Die ENHK könnte in so einem Fall dennoch ein Gutachten erstellen, sie müsste aber vom Kanton Zürich (oder dann im Rahmen der Behandlung einer Beschwerde oder Einsprache einem kantonalen oder eidgenössischen Gericht) damit beauftragt werden.

Unter folgendem Link finden Sie in der rechten Spalte unter „Weitere Informationen“ zwei Publikationen zur Rechtswirkung der Bundesinventare:

http://www.bak.admin.ch/isos/03188/03197/index.html?lang=des“.


Das Bundegericht hat sich in seinem Urteil 135 II 209 vom 1. April 2009 im Fall eines Gestaltungsplanes in Rüti ZH ausführlich zur Wirkung des ISOS auseinandergesetzt und den diesbezüglichen Gemeindeversammlungsbeschluss, welcher Hochhäuser zulassen wollte, aufgehoben (Bundesgerichts-Urteil 135 II vom 1. April 2009). Beim Fehlen des ISOS in der Stadt Zürich ist deshalb besondere Vorsicht walten zu lassen, resp. entsprechende Gutachten der eidgenössischen Instanzen einzuholen.


Kommunale und kantonale Denkmalpflegen bewusst nicht einbezogen

Aus den Darlegungen des Bauentscheides ist nicht ersichtlich, ob die Stellungnahmen der Denkmalpflegen, sowohl der Stadt, als auch des Kantons berücksichtigt worden sind.

Offenbar sind die entsprechenden denkmalpflegerische Organe lediglich über den Projektwettbewerb und jeweils über die weiteren Arbeiten informiert worden und eine aktive Mitarbeit und Bewertung durch diese Gremien har nicht stattgefunden. Dieser Mangel ist zu beheben.

Weil das ISOS für die Stadt Zürich fehlt und deshalb keine negative präjudizielle Entscheide resp. Abbrüche oder unpassende Neubauten erstellt werden dürfen, ist durch das Baurekursgericht ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) resp. der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) oder des IDB (Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETHZ) einzufordern.


Städtebauliche und historische Zusammenhänge

Damit die Begründungen zur fehlenden Einpassung des angefochtenen Neubaues in die Umgebung des Pfauens beurteilt werden kann, seien hier die städtebaulichen und historischen Zusammenhänge aufgeführt.

Bekannt ist, dass ungefähr 2006 ein Gutachten mit dem Titel "Heimplatz und Turnhallen der alten Kantonsschule" erstellt worden ist. Initiiert wurde es möglicherwiese von der Archäologie und der Denkmalpflege. Darin kamen der jüdische Friedhof, das Ausgleichsbecken des Wolfbachs und die Turnhallen vor. Und selbstredend die wunderbare Kantonsschule, Schauspielhaus, Kunsthaus – der gesamte Pfauen in seiner vollen Pracht. Die Bedeutung von allen diesen Zeugen wurde im Gutachten herausgearbeitet. Niemand kann im ernst bestreiten, dass es sich bei den Turnhallen um schutzwürdige Bauten handelt. Erstens bilden sie zusammen mit der Kantonsschule ein einmaliges Ensemble und zweitens gehört zumindest die Turnhalle beim Wolfbachschulhaus zu den ältesten in der Stadt überhaupt.

Siehe auch: Archäologisches und denkmalpflegerisches Gutachtens „Heimplatz und Turnhallen der alten Kantonsschule“ (ca. 2006) durch das Baurekursgericht


Das bedeutungsvolle städtebauliche Struktur-Gewebe des demokratischen Aufbruchs Zürichs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darf nicht zerstört werden!

Die Kantonsschule von G.A. Wegmann, am 15. August 1842 bezogen, und das Kantonsspital von G.A. Wegmann und L. Zeugheer, am 20. Juni 1842 bezogen, waren die Frucht des ersten Dezenniums Zürichs unter der 1830 errungenen Volkssouveränität. Sie waren die grössten nicht sakralen Bauten der damaligen Kleinstadt Zürich, zugleich aber auch Symbole des zielstrebigen Aufbruchs ins moderne Bildungs- und Gesundheitswesen. Nach dem Abbruch des Kantonsspitals1951 steht die Kantonsschule heute als wichtigster architektonischer Zeuge jener kurzen und bedeutungsvollen Epoche der Zürcher Geschichte da. Glücklicherweise sind auch seine architektonische Qualität und seine ursprüngliche städtebauliche Situation hervorragend. Angelehnt an die Bauakademie Schinkels in Berlin von 1836, ist der Bau eine eigenständige Variante, die deutlicher als das Vorbild Modernität und damit Zukunftsoptimismus ausstrahlt. Die später im Umfeld entstandenen Bauten – die Turnhallen und das Wolfbachschulhaus – liessen die von der talseitigen Freitreppe ausgehende Achse frei, sodass diese bis zum Auffüllen mit Barackenprovisorien und hineinwachsender Vegetation erlebbar blieb.

Diese Überstellung mit Provisorien während Jahrzehnten, der Wildwuchs und die Einzäunung sind übrigens dafür verantwortlich, dass in der Diskussion um den Wettbewerb und anschliessend während der Volksabstimmung über den Erweiterungsbau das Vorhandensein dieses aus der Schanzenzeit stammenden Grünraumes und dessen Zukunftspotenzial in Bezug auf eine öffentliche Anlage nicht erkannt werden konnte.

Erst sollte die neue Kantonsschule, deren Bauwerk damals „Bildung für Alle“ verkörperte, neben dem Grossmünster in die Altstadt gezwängt werden. Man entschied sich dann aber, diese noble öffentliche Bauaufgabe auf dem Vorstadtgelände im Bereich zwischen der inneren mittelalterlichen und den äusseren barockzeitlichen Schanzen in bestmöglicher und prominenter Lage zu errichten. Auf dieser Seite der Stadt mussten die Schanzen gegen den Zürichberghang hin aufgetürmt werden - eine ausserordentliche Leistung für diese Zeit.

Die Kantonsschule wurde in Hochlage am südlichen Ende auf der Schulter dieser Erhebung - wo sich zuvor das Rämi-Bollwerk befand - raumgreifend plaziert. Zusammen mit der erhabenen Architektur ist diese Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe als eine bemerkenswerte städtebauliche Tat anzusehen welche den Vorrang der Schule im jungen Staat bestens zum Ausdruck bringt.

Dass auch das Turnwesen (Turnvater Friedrich Ludwig Jahn) dazu gehörte, veranschaulicht der unterhalb der Freitreppe angeordnete Turnplatz. Architekt Wegmann errichtete auf der Seite der Kantonsschulstrasse einen Turnschopf. Als talseits im Zusammenhang mit der Einführung der Hottingerstrasse der Heimplatz entstand, reagierte die Kantonsschule mit dem Ersatz des hölzernen Turnschopfs durch eine und später eine zweite Turnhalle. Beide wiesen dem neuen Heimplatz (Sängervater Ignaz Heim) wohldekorierte Schaufassaden mit Tempelgiebeln, Thermenfenstern und Inschrifttafeln (z.B. „sit mens sana in corpore sano“) zu. Sie wurden am Platz auf derselben Front errichtet und bilden deshalb zusammen mit dem Kantonsschulgebäude eine sogenannte triklinische Anordnung. Sie wurde aus der Architekturgeschichte Italiens entlehnt: oben die Villa und unten symmetrisch links und rechts die Nebengebäude.

Angewendet auf die hochliegende monumentale Zürcher Kantonsschule und die tief liegenden beiden Turnhallen ist in dieser Konstellation der Beweis zu sehen, dass Turnhallen und Schulgebäude städtebaulich und kompositorisch zusammengehören.


Schweiztypisch demokratischer Städtebau am Pfauen

Heute spannt sich zwischen dem später in Etappen erbauten und erweiterten Kunsthaus "unten" und der Kantonsschule "oben" ein interessant gegliederter Raum auf, der zwei Turnhallen und einen Park mit altem Baumbestand enthält. Über beinahe 200 Jahre hat sich in Zürich am Pfauen eine einmalige Konstellation bestehend aus Schule, deren Turnhallen, dem Kunsthaus, dem Theater (Schauspielhaus) und im weiteren Umfeld Obergerichtsgebäude und Konservatorium, herausgebildet. Das selbstverständliche Nebeneinander von derart verschiedenartigen Nutzungen spiegelt die freien schweizerischdemokratischen Verhältnisse im Gegensatz zu monarchisch dekretiertem Städtebau, der sich auf eine straffe Aufreihung von Repräsentationsbauten beschränkt.

An keinem anderen Ort in der Stadt Zürich sind die Errungenschaften des neuen Bundesstaates auf derart eindrückliche Art und Weise versinnbildlicht. Das Denkmal von Ignaz Heim, des Komponisten und Sängervaters, das den Heimplatz ziert, steht symbolisch für das Sängerwesen, die Turnhallen für das Turnwesen und der prächtige Kantonsschulbau für das Bildungswesen des neuen Bundesstaates.

Für die Stadt Zürich bedeutet diese einmalige bauliche Konstellation am Pfauen das materielle Gedächtnis an den frühen Aufbruch der schweizerischen Demokratie.


Die Problematik des Wettbewerbsentwurfs

Es ist fragwürdig, wenn auf Seite 19 der „Vorabklärungen zum Projektwettbewerb Kunsthauserweiterung“ (Workshopverfahren) unterstrichen wird, "dass nur der unmittelbare Aussenraum der Kantonsschule schützenswert sei".

Man muss annehmen, dass für die ganze Raumflucht im Bereich dieser Achse § 203 Abschnitt c) des Planungs- und Baugesetzes gilt und dessen § 204 vom Staat nicht respektiert wurde. Der Staat hat nämlich die "Zugehör", das heisst die vom Bau bestimmte Umgebung, der nie bewältigten Raumnot der Schulen während eines halben Jahrhunderts mit Provisorien geopfert und ab den siebziger Jahren mit praktisch raumfüllenden Barackenprovisorien dauerhaft beeinträchtigt. Es ist deshalb ausdrücklich festzustellen, dass im Wettbewerbsverfahren der zur Kantonsschule gehörende Grünraum mit den symmetrisch zur Achse angeordneten Turnhallen abgetrennt wurde. Was zusammengehört wurde getrennt.

Der infolge des Wettbewerbsprogramms zu gross geratene Kubus des Projekts Chipperfield unterbricht das Spannungsfeld zwischen Kantonsschule und Kunsthaus durch sein Volumen definitiv. Die Kantonschule wird mit ihrer Freitreppe aus der gewachsenen Konstellation ausgeschlossen: Der wichtigste Bauzeuge Zürichs auf dem Weg zur Volkssouveränität hätte sich mit der 17 Meter hohen Rückseite des Neubaus abzufinden! Der stolze Bau mit seiner auf Fernwirkung ausgelegten Zinnen und der Freitreppe würde seines Vorgeländes und am Pfauen auch seiner optischen Präsenz beraubt.

Bei der Jurierung schien man einen Moment bei dieser Frage anzuhalten, indem eine Zweiteilung des Gebäudes mit dem 3. Preis gewürdigt wurde und das Auf-die-Seite- Rücken des Baukörpers beim Projekt Nr.17 immerhin zu einem Ankauf führte. Der niedrig gehaltene Teil mit begehbarer Dachfläche erlaubte der auf Fernwirkung angelegten Kantonsschule wenigstens partiell zu atmen und eine räumliche Beziehung zum Heimplatz aufrecht zu erhalten. Selbst Stararchitekten sind wegen des überladenen Raumprogramms ihre ehrenwerten Bemühungen nicht gelungen, eine überzeugende Blickachse zur Kantonsschule freizuhalten.

Während dem die Kantonsschule in ihrer prominenten Position auf dem erhaltenen Rest der barocken Befestigung von Freiraum umgeben ist, drängt der direkt am Trottoir stehende Neubau die Fussgänger, die im Spannungsfeld zwischen Pfauen und den Hochschulen eine attraktive Verbindung suchen, an die Strasse. Ernst Gisel – bekannter Architekt und Altmeister – äusserte dazu in einem Interview in der NZZ, "man könne wohl kaum einfach ein Museum dem Trottoirrand entlang bauen."

Was die Werke Chipperfields anbetrifft, stellte der Architekturkritiker der NZZ, Roman Hollenstein, fest, dass das Zürcher Projekt nicht zu seinen besten gezählt werden könne. Alles in allem rechtfertigt es das kulturelle und städtebauliche Opfer nicht, das Zürich für diesen Neubau zu erbringen hätte.


Der städtebauliche Schaden für das barocke Vorstadtgebiet Zürichs

Barockes Vorstadtgebiet / Ringstrasse:

Städte in der Schweiz und auch die Städte in Europa weisen in der Regel ein Gelände auf, das die mittelalterliche Kernstadt ringförmig umfasst und sich im Raum zwischen der mittelalterlichen Stadtmauer und den neuzeitlicheren Schanzen der Barockzeit ausdehnt. Bekannt ist die Ringsstrasse Wiens, die dann in Genf nachgeahmt wurde und sich z.B. auch in Basel, Winterthur findet bis zu kleineren Ortschaften wie Frauenfeld oder Zofingen. Diese sogenannten Ringstrassenzonen wurden nach der Abtragung der Schanzen jeweils für die Erstellung von Pärken, darin plazierten öffentlichen Bauten und für Verkehrsachsen genutzt.

Das Kunsthaus und dessen projektierter Erweiterungsbau liegen im grössten und am besten erhaltenen barocken Vorstadtgelände Zürichs. Die Rämistrasse ist als die Zürcher Ringstrasse anzusehen. Die kommunale Bauordnung führt im Anschluss an die allgemeinen Vorschriften „Gebietscharaktere und Zusatzvorschriften“ auf.

Die Stichworte abgekürzt: städtebaulich wichtige Übergangszone zwischen Altstadt und Hochschulquartier / Bebauung „auf der Mauer“, villenartige Neurenaissance-Mehrfamilienhäuser / starke Durchgrünung mit grossem Baumbestand / herrschaftliche Familiensitze ab dem 17. Jh. umgeben von ursprünglich ausgedehnten Gartenanlagen / im 19. Jh. ergänzt mit massstäblich eingefügten öffentlichen Bauten. Der spezielle Zauber des beliebten Gebiets am Pfauen kann umschrieben werden mit „luftige, heitere Atmosphäre, resultierend aus Solitärbauten angemessener Grösse umgeben von altem Baumbestand und frei fliessendem Raum“. Für den Gebietscharakter nicht zu vergessen: die interessanten Sichtbeziehungen, welche diese Konstellation – etwa im Unterschied zu den geschlossenen Blockrandgevierten um 1900 – auszeichnet.

Das Volumen des Chipperfield-Projekts:

Der Erweiterungsbau würde für die lockere Bebauung und den fliessenden Raum am Pfauen das Ende bedeuten: Randvoll füllt der Erweiterungsbau das Grundstück zwischen Kantonschulstrasse, Heimplatz, und Rämistrasse. Die Fassaden sind auf drei Seiten direkt am Trottoir plaziert. Der Bau würde so nahe der Strassen stehen, dass er eigentlich nicht erlebt werden kann. Die Fussgänger werden physisch an die Strassenränder gedrängt und den Verkehrsimmissionen ungeschützt ausgesetzt. Betroffen ist die Fussgängerzirkulation zwischen Bahnhof Stadelhofen, Bellevue, Heimplatz und Hochschulquartier. An der Rämi- und an der Kantonsschulstrasse würden sich Fussgänger – mitten in der Stadt – ähnlich einem Industriebau, entlang geschlossenen Fassaden bewegen müssen. Der Kubus würde im städtebaulichen Spannungsfeld die Wirkung eines unfreundlichen Pfropfens haben um den herum die Bevölkerung ihren Weg suchen müsste.

Das Schulhaus Wolfbach, 1866 errichtet, erhielt eine Schaufassade mit zwei Risaliten, die sich über die schmale Kantonschulstrasse hinweg dem offenen Vorgelände der alten Kantonsschule zuwendet. Der Erweiterungsbau des Kunsthauses nimmt dem Schulhaus Wolfbach die Perspektive und lässt die Strasse zu einer Schlucht verkommen. Seines Vorraums beraubt, wird dieser stolze Bau, der für das Bildungswesen der Stadt Zürich steht, erdrückt. Von städtebaulicher Sensibilität kann hier keine Rede sein. Das Projekt Chipperfield zeichnet sich im Äusseren dadurch aus, dass es seine Palisade von Sandsteinpfeilern vor der meist geschlossenen Fassade, ungeachtet der Umgebung, auf allen vier Seiten aufrichtet. Es handelt sich um einen Bau mit autistischem Charakter, um einen „Kunsttresor“, der auf seine Umgebung keinerlei Rücksicht nimmt.

Als Zweites verletzt die Übergrösse des Erweiterungsbaus den Massstab der Umgebung.

Bild rechts: Luftbild Bereich Moserbau bis Kantonsschule.

Siehe auch: NZZ vom 28. September 2009, S. 19, „Ein Kompromiss in Stein / Wenig Begeisterung über die Kunsthaus-Erweiterung“

„Ein Kompromiss in Stein – Wenig Begeisterung über die Kunsthaus-Erweiterung“. In diesem Zeitungsartikel wird das Erschrecken der Jury über das Volumen beschrieben. Dessen Wucht erdrückt den Heimplatz und zerstört die infolge der lockeren Bebauung üblichen Sichtbeziehungen, die das Pfauengebiet ausmachen.

Die randvolle Bebauung bedeutet drittens aber auch, dass der Rest von Grünraum und Baumbestand zusammen mit der alten Kantonsschule ins Abseits gestossen und nicht mehr zum Pfauen gehören würde. Hinter dem Erweiterungsbau würde das grandiose Vorfeld der Kantonsschule mit ihrer Freitreppe zu einem Restraum degradiert. Es ist auch zu bedenken, dass der Moserbau des Kunsthauses trotz schräg, resp. diagonal verlaufendem Zeltweg in seiner Grundrissgeometrie bewusst auf das Ensemble von Kantonsschule und Turnhallen ausgerichtet wurde. Alle diese genannten Bauten halten sich bewusst an den orthogonalen Raster. Der übergrosse Kubus von Chipperfield trennt dieses Spannungsfeld in zwei Teile. Es entstehen ein vorderer und ein hinterer Bereich. Die Verbindung Pfauen - Kantonsschule ist unterbrochen. Hinter dem Erweiterungsbau wird – was nicht sein darf – in Restraum geschaffen. Der im Projekt vorgeschlagene „Garten der Kunst“ auf der Rückseite kann nicht als Ersatzmassnahme für die Tatsache gelten, dass mit dem Abbruch und der Beseitigung der Turnhallen eine Zweiteilung und Herabminde rung eines erstklassigen Zusammenhangs innerhalb der Zürcher Ringstrassenzone zementiert würde.

Im Massstab der ganzen Rämistrasse gesehen ist das ehemalige Schanzengelände im gradlinigen Abschnitt zwischen der Erhebung, auf der die Kantonsschule steht und dem tiefer liegenden Moserbau des Kunsthauses in seiner vollen Breite noch als Grünraum im Sinne einer Ringstrasse erhalten. Die Rämistrasse selbst ist längst zum reinen Verkehrskanal verkommen und als erbaulicher Bewegungsraum für Fussgänger verloren gegangen. Dies zu kompensieren verlangt nach der Aktivierung des Grünraums im Vorgelände der Kantonsschule und schliesst jegliches grösseres Bauvolumen aus, das die Fussgängerzirkulation darin verhindert.

Heimplatz:

Im INSA Band Zürich wird der Heimplatz als „wichtigste Platzanlage des 19. Jh. am rechtsufrigen Altstadtrand im Bereich der Stadtbefestigung des 17. Jh. bezeichnet“.

Die geschlossene Fassade der Erweiterungsbus, dessen Höhe mit 21 Metern einem siebenstöckigen Wohnhaus entspricht, würde den Heimplatz auf der Bergseite abschliessen und Verkehr und Lärm der drei sich schneidenden Hauptverkehrsstrassen einschliesslich der Tram- und Busstationen fassen und dadurch begrenzen. Ein enges Gefäss und ein Echoraum für den Verkehr wäre das Resultat. Deshalb wird vermutlich immer wieder erneut auf die Notwendigkeit der Gestaltung des Heimplatzes gedrängt.

Siehe auch: NZZ vom 26. November 2012, Seite 17, „Grossprojekte sind möglich I Herausforderung Heimplatz“

Es werden Möglichkeiten vorgegaukelt, die auf dem durch den Verkehr bestimmten Platz nicht realisierbar sind. Die vorgeschlagene Unterführung wird nicht nur für den Betrieb, sondern auch für die Besucher des Museums, unter dem Platz hindurch, zeugt davon, dass die Rechnung einer Kompensation des übergrossen Kubus durch Gestaltungsmassnahmen auf dem Platz, nicht aufgeht: Ein urban gestalteter Platz braucht keine Unterführung.

Ähnlich der Talseite vor dem Kunsthausrestaurant, besteht auf der Bergseite die einzige Möglichkeit, Lebensraum für die Bevölkerung zu schaffen, in einer Erweiterung des Trottoirs, z.B. in den Bereich zwischen den Turnhallen hinein. Darauf wird später eingegangen. Ein weiteres Indiz, dass der Heimplatz mit dem Erweiterungsbau unwirtlich würde, ist der Vorstoss der Gruppe „Open Pfauen“, die vorschlug, den Kubus um ein beträchtliches Mass zurückzuverschieben um für die Fussgänger am Heimplatz Raum zuschaffen. Eine solche Verschiebung würde jedoch die Situation der Kantonschule mit ihrer Freitreppe noch weiter verschlechtern: Der durch den Erweiterungsbau geschaffene Restraum auf dessen Rückseite würde noch mehr verengt.

Bild rechts: Längsschnitt Kantonsschule-Moserbau.

Fazit Städtebau:

Indem die Stadt Zürich das grosse parkartige Vorgelände der Kantonsschule zu einem Grossen Teil dem Erweiterungsbau des Kunsthauses opfern will, könnte sie gegenwärtig in Europa die einzige Stadt sein, die in ihrem Inneren noch Grünflächen verbaut. Die Ringstrassenzonen mit ihren Grünräumen und altem Baumbestand bedeuten heute - nach dem weiteren Wachstum der Städte seither – für diese oft die einzigen grünen Lungen. Es gibt in der Schweiz und in Europa kaum eine grössere Sünde als solche Freiräume heute noch zu überbauen. Das Beispiel Sevilla, wo nach einem Bürgerprotest der Abbruch eines neuen Museumsbaus (Stararchitektin Zaha Hadid) vorgesehen ist, zeigt, dass eine solche Vernichtung von Werten nicht mehr zeitgemäss ist.

Siehe auch: NZZ vom 12. Januar 2013, Seite 57, „Sevilla reisst ein Zaha-Hadid-Gebäude ein“

Auch die Proteste um die Erhaltung des Gezi-Parks von Istanbul gehen in dieselbe Richtung. Die vorgesehene aus genannten Gründen nicht bewusst gewordene Verbauung von Grünraum an entscheidender Stelle der Innenstadt widerspricht dem öffentlichen Interesse. Den Planungsbehörden, die dies zu verantworten haben, ist mangelnde städtebauliche Sachkenntnis vorzuwerfen.


Zusammenfassung

• Die verdrängende Übergrösse des Erweiterungsbaus widerspricht in mehrerlei Hinsicht der Struktur des barocken Vorstadtgebiets von Zürich


• Die autistische Architektur des vorwiegend geschlossenen „Kunst-Tresors“ widerspricht der eminent öffentlichen Umgebung des „Pfauens“


• Die historisch und sozialgeschichtlich bedeutende Kantonschule und ihr Vorgelände werden entwürdigt


• Es ist heute nicht mehr akzeptabel Grünraum in einer städtischen Ringstrassenzone zu überbauen


• Die sich bietende Gelegenheit, den gegenwärtig ungenutzten Grünraum in einen Stadtpark zu verwandeln wird vertan


• Die Chance, die alte Kantonsschule einer ihrer historischen Bedeutung entsprechenden Nutzung zuzuführen wird nicht genutzt


• Es bestehen alternative Möglichkeiten, welche im Sinne eines klugen Weiterbauens im historischen Kontext ohne städtebaulichen Schaden realisierbar sind



Abwägung öffentliches Interesse – privates Interesse

Ein öffentliches Interesse an einem privaten Kunsthaus in der angefochtenen Form ist nicht gegeben, da zu diesem Projekt valable Alternativen bestehen, die jedoch nie ernsthaft geprüft worden sind.

Das durch das Bauvorhaben vollständig konsumierte Volumen gemäss Gestaltungsplan geht von unrealistischen Vorgaben aus und zielt an den tatsächlichen Bedürfnissen des Kunsthausbetriebes in Zürich weit vorbei. Die Erhaltung des Ensembles am Heimplatz ist eindeutig von grösserem öffentlichen Interesse als dasjenige an einem privaten Kunsthaus in dieser Form.