Ortsbildqualität

Archicultura hat Punkte definiert, die die Ortsbildqualität auszeichnen. Sie sind zwar grundlegen baulich-gestalterischer Art, haben jedoch auch wichtige Auswirkungen auf das soziale Zusammenleben in der Stadt und wirken sich positiv auf andere Faktoren wie das Stadtklima oder Energieersparnis aus. Diese sind unterteilt in Stadtstruktur und Stadtgrundriss, Fünf Arten des Zusammenspiels von Bauwerken und die Stadtraumgestaltung. Des Weitern stellen wir ein Beurteilungsschema und Fragebogen zur Ortsbildqualität von Gebäuden zur Verfügung.


Stadtstruktur und Stadtgrundriss

Stadtstruktur in Weimar

Die Stadtstruktur zeigt bereits den Grundriss einer Stadt. Fügen sich neue Bauten in ihrer Grundfläche und mit ihren Umrissen in das Bild der Stadt ein? Verschiedene Epochen brachten verschiedene Stadtstrukturen hervor - von der sehr kompakten Stadt im Mittelalter bis quadratische Grundriss-Musterstädte seit dem 19. Jahrhundert. In Schwarzplänen kann die Stadtstruktur sehr gut erkannt werden: Wo befinden sich flächenverbrauchende Bauten? Wie fügen sich die Gebäude in ihre Umgebung ein? Wie verhalten sich öffentliche Bauten zu ihrer Umgebung (beispielsweise nehmen Kirchen teilweise den umliegenden Raum ein, teilweise sind sie in Häuserzeilen integriert)? Wo befinden sich unbebaute Flächen (Grünflächen, Parks, Plätze)? Welchen baulichen Grundstrukturen unterliegt die Stadt? (Bild: Der Schwarzplan der Innenstadt von Weimar [TH, DE]; Altstadt, Gründerzeitviertel und Parkanlagen sind deutlich zu erkennen).




Fünf Arten des Zusammenspiels von Bauwerken

Die Bauwerke in einer Stadt können durch verschiedene Bauweise, Grösse und Gestaltung ein eher positives oder negatives Zusammenspiel erwirken. Archicultra hat dieses Zusammenspiel grob in fünf Arten unterteilt.

Uniforme Bauweise in Luzern

Die uniforme Bauweise

Diese Bauweise ist gekennzeichnet durch eine identische Grob- und Detailgestaltung der Bauten. Sie ist in der Regel das Ergebnis einer einheitlichen Planung einer Überbauung. (Bild: Luzern [CH])


"Vielfalt in der Einheit" in Luzern

"Vielfalt in der Einheit"

Bei der "Vielfalt in der Einheit" besteht eine homogene Grobgestaltung der Bauten, kombiniert mit einer abwechslungsreichen, aber bezugnehmenden Detailgestaltung. (Bild: Luzern [CH])


Das abwechslungsreiche Ensemble in Champfer GR

Das abwechslungsreiche Ensemble

Das abwechslungsreiche Ensemble zeichnet sich durch eine vielfältige, aber bezugnehmende Grob- und Detailgestaltung der Bauten aus. (Bild: Champfer GR [CH])


Verunstaltung in Kappel SO

Die Verunstaltung

Die Verunstaltung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein erheblich störender gestalterischer Gegensatz eines Gebäudes zur überlieferten Bauweise der umgebenden Bauten. (Bild: Kappel SO [CH])


Architektonisches Chaos in Muralto TI

Das Architektonische Chaos

Das architektonische Chaos ist eine Anhäufung von groben Gestaltungsbrüchen. Es ist eine völlig wirre Bauweise einer grösseren Anzahl von Bauten und Anlagen. Eine gegenseitige Bezugnahme der Bauten fehlt. (Bild: Muralto TI [CH])



Festzuhalten ist, dass Ortsbildqualität nicht etwa von dem Baualter, der Architekturepoche oder dem Architekturstil abhängt, sondern ob Neu- und Altbauten harmonisch zusammenpassen und sich Neubauten gut in die bestehende Umgebung einfügen. Des Weiteren ist die Verbindung zum traditionellen Baustil einer Region (wenn auch in moderner Interpretation) zu beachten.



Stadtraumgestaltung

In den Bereich der Stadtraumgestaltung zählen die Gestaltung des öffentlichen Bereichs wie auch jene des halbprivaten und privaten Raumes. Unter öffentlichem Raum versteht man alle Flächen, die öffentlich für Jeden zugänglich sind. Meist sind dies Strassen, Plätze, Parkanlagen und weitere. Unter halbprivatem Raum versteht man Flächen, die öffentlich für Jeden zugänglich sind, jedoch bereits den Eindruck des privaten Raums vermitteln. Oft sind dies öffentliche Zugangswege zu Gebäuden, teilweise Räume in Hinter- und Innenhöfen und weitere. Private Räume sind alle die für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Räume. Jedoch kann auch ihre Gestaltung Auswirkung auf die Öffentlichkeit haben, beispielsweise bei Vorgärten. Im Rahmen von Gestaltungsideen ist beispielsweise die Gestaltung von Innenhöfen und privaten Gärten interessant.

Strassenraumgestaltung in Brügge [WV, BE]

Strassenraumgestaltung

Der Strassenraum ist nicht nur gestalterisch wichtig, sondern auch für das soziale Zusammenwirken von Bewohnerinnen und Bewohnern essenziell, da sich hier das meiste Leben in einer Stadt abspielt. Vor allem durch autogerechte Stadtplanung in der Nachkriegszeit wurde der Strassenraum für den Autoverkehr dominierend gestaltet. Jedoch soltle der Strassenraum alle Verkehrsteilnehmer gleich behandenln, sprich Fussgänger, Fahrradfahrer und Inlineskater genauso wie Autofahrer, Busse und Trambahnen. Die Strassenraumgestaltung zeichnet sich nicht (nur) durch die Gestaltung der verkehrstechnischen "Strasse", sondern durch die Gestaltung des gesamten Raumes aus und sollte als Fläche zwischen Häuserfassaden beziehungsweise den privaten Räumen gesehen werden.
Konzepte wie Begegnungszonen und Shared Space, teilweise in Verbindung mit New Urbanism, betrachten den Strassenraum als eine Fläche für alle Verkehrsteilnehmer. (Bild: Strassenraumgestaltung an die umliegenden Bauten angepasst in Brügge [WV, BE])


Platzgestaltung in Brügge [WV, BE]

Platzgestaltung

Genauso wichtig für das soziale Zusammenleben in der Stadt ist die Gestaltung von Plätzen. Hier treffen sich Menschen um zu kommunizieren oder handeln. Bereits in der Geschichte der Stadt waren Plätze von essenzieller Bedeutung. Auf dem Marktplatz wurden Waren verkauft, teilweise spezialisiert nach verschiedenen Produkten (bspw. Fischmarkt, Naschmarkt, Mittwochsmarkt), auf anderen Plätzen zum Verweilen eingeladen. Wie wird ein Platz heute genutzt beziehungsweise wie sollte er genutzt werden? In der autogerechten Stadt wurden viele Plätze als Parkplätzen genutzt - im Umbau zu personenfreundlichen Menschen in den letzten Jahren hat sich oft gezeigt, dass Plätze auch heute noch enorm wichtig sind für Städte. Wozu soll er dienen? Ist es ein Platz, der im Rahmen eines Bauwerks existiert, zum Beispiel bei einer Kirche, einem Rathaus oder einem Theater? Ist die Aufenthaltsqualtität gesichert?

William H. Whyte untersuchte ab den 1960er Jahren Strassen und Plätze in Städten nach Nutzung, Ritualen und Tagesrhythmen und erkannte, dass ein erfolgreicher Raum zwischen Gebäuden bedingt wird durch:
- Sonne (wird auf einem Teil des Platzes Sonnenlicht gewährleistet?)
- Wind (weist der Platz eine angenehme Windgeschwindigkeit auf?)
- Bäume (Sind Bäume als Schattenmöglichkeit vorhanden?)
- Wasser (Wasser dient zur Abkühlung und vermittelt Ruhe)
All diese Punkte haben nicht nur mit der Gestaltung der Stadt und dem sozialen Zusammenleben in der Stadt zu tun, sondern sind für das Stadtklima und die Umwelt wichtig.

Wichtig für die Aufenthaltsqualität sind auch Sitz- und Ruhemöglichkeiten auf Plätzen. (Bild: Platzgestaltung des "Groote Markt" in Brügge [WV, BE] - Unterschiedliche Verkehrsteilnehmer teilen sich denselben Raum; der Platz dient verschiedenen Funktionen und Nutzungen)


Kleine Grünfläche in Berlin [BE, DE]

Grünflächen

Grünflächen dienen einerseits zur Erholung und als sozialer Treffpunkt in der Stadt, sind jedoch auch für das Stadtklima wichtig. Daher ist das Anlegen von Grünflächen und Parkanlagen äusserst wichtig. Dies kann einerseits kleinteilig im Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern geschehen, andererseits grossflächig im Sinne von Parkanlagen und Gärten. Auch hier wird die Aufenthaltsqualität durch Sitzmöglichkeiten stark erhöht. (Bild: Die kleine öffentliche Grünfläche auf dem Viktoria-Luise-Platz in Berlin [DE] wird von Personen rege genutzt)


Bepflanzung eines halböffentlichen Raumes in Parma [ER, IT]

Gestaltung des halbprivaten und privaten Aussenraums

Interessant ist ebenfalls die Gestaltung des halbprivaten und privaten Aussenraums, da er einerseits für den öffentlichen Raum wirksam sein kann, andererseits das Leben und der Aufenthalt im privaten Raum erhöht. Vorgärten sind für die Öffentlichkeit oft einsehbar und sind wichtiger Teil der Stadtraumgestaltung. Halbprivate Räume und private Räume, beispielsweise in Innenhöfen können durch angemessene Bepflanzung ein deutlich angenehmeres Klima und Temperaturen hervorrufen und die Aufenthaltsqualität erhöhen. (Bild: Bepflanzung eines halböffentlichen Raumes: Innenhof in Parma [ER, IT])


Beleuchtung der Karlskirche in Wien [WI, AT]

Beleuchtung

Ein weniger sichtbarer Aspekt der Stadtraumgestaltung ist die Beleuchtung des Raumes. Vor allem in Zeiten der Lichtverschmutzung ist es wichtig, nur nötige Lichtquellen im Aussenraum einzurichten und eine angemessene Beleuchtung zu gewährleisten. Zusätzlich sollten energiesparende Massnahmen umgesetzt werden. In ausgestalteten Lichtplänen werden Strassen und Plätze energieeffizient beleuchtet. Gebäude und Sehenswürdigkeiten erhalten neue Arten der (indirekten) Beleuchtung, um Akzente an Details zu setzen und die Lichtverschmutzung zu reduzieren. Als Beispiele zählen der Plan Lumière Zürich und der Plan Lumière Luzern in der Schweiz, der Lichtplan Karlsruhe in Deutschland sowie der Plan Lumière Lyon in Frankreich. (Bild: Die Beleuchtung der Karlskirche in Wien [AT])



Beurteilungsschema und Fragebogen zur Ortsbildqualität von Gebäuden

Hier sehen Sie nun ein Beispielschema, wie man Ortsbildqualitäten anhand des Zusammenspiels der Bauwerke ausfindig macht.


Ortsbildqualität / Beurteilungsschema / Kriterien

1. Äusseres Ortsbild; Weichbild des Ortes; Grobbeurteilung
Ist der aus der Ferne dem Betrachter vermittelte Gesamteindruck des Ortes (Weichbild), einschliesslich aller Quartiere, Ortsbildteile etc. harmonisch oder chaotisch?

1. Äusseres Ortsbild: Weichbild
    
1            2            3             4             5            6

chaotisch,                                 
Fraktionen,
störende
Bauten
harmonisch

2. Störende Bauten, Verunstaltungen im äusseren Ortsbild
Bestehen in der Makroansicht des Ortes das Weichbild störende, verunstaltende Bauten; Bauten also, die störend stark von der überlieferten, ortsüblichen Bauweise abweichen?

2. Äuss. OB: Störende Bauten
    
1             2             3            4             5            6

Über 10 %
störende
Bauten   
Keine
störenden
Bauten

3. Ortsbildfraktionen
Ist der gesamte Ort in der überlieferten, ortsüblichen Bauweise erstellt, oder bestehen Ortsbildteile mit davon stark abweichenden Gestaltungen, wie zum Beispiel Hotel-, Industrie-, Einfamilienhausquartiere, Quartiere aus verschiedenen Zeitepochen etc.?

3. Abweichende Ortsbildfraktionen
    
1             2            3            4             5           6

Über
5 Frak-
tionen 
überlieferte
ortsübliche
Bauweise

4. Störende Bauten, Verunstaltungen im inneren Ortsbild
Bestehen in der Mikroansicht des Ortes (Quartier-, Strassen- oder Platzbild) nicht passende, störende, verunstaltende Bauten; Bauten also, die stark von der überlieferten, ortsüblichen Bauweise abweichen (grobe Gestaltungsbrüche)?

4. Inneres OB: Störende Bauten
    
1            2            3            4             5           6

Über
als 10 %
störende
Bauten
Keine
störenden
Bauten

5. Grobgestaltungselemente (GGE)
Ist die Grobgestaltung der Bauten überliefert, ortsüblich, oder bestehen grobe Gestaltungsbrüche zwischen den einzelnen Bauten? Grobgestaltungselemente (GGE) sind z.B:

5.1 Dach: 
Neigung, Form, Verhältnis zur Wand, Farbe, Vorsprung, Materialien, Firstrichtung etc.

5.1 GGE: Dach
    
1            2            3            4            5            6

Über
50 % Ab-
weichungen
100 %
ortsbild-
konform
5.2 Öffnungen: 
Anordnung, Verhältnis zur Wand, Form etc.

5.2 GGE: Öffnungen
     1            2            3            4             5           6

Über
50 % Ab-
weichungen
100 % 
ortsbild-
konform
5.3 Baukörper: 
Volumen, Gliederung, Proportionen, Materialien, Farben, Balkone, Arkaden, Stellung der Bauten etc.

5.3 GGE: Baukörper
    
1            2            3           4             5           6
 

Über
50 % Ab-
weichungen
100 % 
ortsbild-
konform

6. Detailgestaltungselemente (DGE)
Ist die Detailgestaltung der Bauten überliefert, ortsüblich, oder bestehen grobe Detailgestaltungsbrüche zwischen den einzelnen Bauten?

Bemerkung: Zu berücksichtigen sind nicht alle, sondern nur die wesentlichen Detailgestaltungselemente. Nicht-Profanbauten wie Kirchen, Rathäuser etc. dürfen ihrer Bedeutung entsprechend angemessen abweichen.

Wesentliche Detailgestaltungselemente (DGE) können sein:

6.1 Dach: 
Giebelform, Neigung, Verhältnis zur Wand, Traufhöhe, Vorsprung, Firstrichtung, Gliederung, Aufbauten, Einschnitte, Fenster, Materialien, Farben, Vordach, Eingangsüberdachung, Überstand, Vorkragung, Untersicht, Kniestock, Rinnen, Ablaufrohre, Ortgang, Gesimse, Brandwände, Brandgiebel, Kamine, Schornsteine, Blitzableiter, Antennen, Sonnenkollektoren, etc.

6.1. DGE: Dach
    
1            2             3            4             5            6

Über
50 % Ab-
weichungen                                   
100 %
ortsbild-
konform
6.2 Öffnungen: 
(Fenster, Türen, Tore, Schaufenster): Form, Grösse, Anzahl, Anordnung, Gliederung, Verhältnis zur Wand, Materialien, Farben, Umrahmungen, Teilung, Sprossen, Bänke, Rollläden, Markisen, Jalousien, Ausleger etc.

6.2 DGE: Öffnungen
    
1            2           3             4             5            6

Über
50 % Ab-
weichungen                                   
100 %
ortsbild-
konform

6.3 Baukörper: 
Volumen, Grundriss, Stellung,
Abmessungswechsel, Verhältnis zu den Öffnungen, Kniestock, Gliederung, Proportionen, Stockwerkzahl, Stockwerkhöhe, Sockel, Balkone, Erker, Vorbauten, Anbauten, Wintergarten, Arkaden, Auskragungen, Treppen, Geländer, Sonnenschutzanlagen, Wetterschutzanlagen, Werbeanlagen, Beleuchtungskörper, Strukturen, Ornamentik, Materialien, Farben, Baustil etc.

6.3. DGE: Baukörper
    
1            2            3            4            5            6

Über
50 % Ab-
weichungen 
100 % 
ortsbild-
konform
6.4 Umfeld/Position: 
Parzellenstruktur, Lage, Stellung, Gebäudeflucht, Nebengebäude, Garagen, Schuppen, Vorplatz, Vorgarten, Einfriedung, Mauern, Stützmauern, sonstige Anlagen, Werbeanlagen etc.

6.4. DGE: Umfeld / Position
    
1            2            3            4            5            6

Über  
50 % Ab-
weichungen   
100 %
ortsbild-
konform
Bemerkung: 
Bei der Erarbeitung der Beurteilungskriterien können je Gestaltungselement analoge Beurteilungsschemas verwendet werden. Nachstehend ein mögliches Beispiel:

DGE: überlieferte, ortstypische Dachneigung 40 - 45°
     1            2             3            4             5            6

GESAMTBEURTEILUNG
     1            2            3            4             5            6

6 = sehr gut
5 = gut
4 = befriedigend
3 = ungenügend
2 = schlecht
1 = sehr schlecht

Über 
50 % Ab-
weichungen

100 % 
ortsbild-
konform